BRAUNSCHWEIG. Der Rat beschließt einstimmig, dass dem 95-Jährigen aufgrund seines besonderen Eintretens für Respekt und Toleranz diese Würde zukommen soll.
Cornelia Steiner
14.07.2020 - 20:36 Uhr
Sally Perel im Mai 2015 bei der Einweihung eines Denkmals für Respekt und Toleranz beim Braunschweiger Volkswagen-Werk, in dem Perel während des Zweiten Weltkriegs als Lehrling arbeitete. Foto: Peter Sierigk / Archiv
Es gab viele kontroverse Diskussionen in der Ratssitzung am Dienstag. Doch bei diesem Thema waren sich alle einig: Einstimmig hat der Rat beschlossen, Sally Perel die Ehrenbürgerwürde der Stadt Braunschweig zu verleihen. Oberbürgermeister Ulrich Markurth hatte dies vorgeschlagen. Wann es eine Feier geben kann, ist angesichts der Corona-Pandemie ungewiss. Perel lebt in Israel, im Frühjahr hat er seinen 95. Geburtstag gefeiert.
Markurth: Seine Lebensgeschichte ist unglaublich
In der Ratssitzung erläuterte Markurth noch einmal seine Beweggründe, Perel auf diese besondere Weise auszuzeichnen. Perels Lebensgeschichte sei unglaublich – und sie habe hier in Braunschweig ihren Anfang genommen. „Das gibt uns Anlass, darüber nachzudenken, wie wir mit unserer Vergangenheit umgehen.“
Doch es gehe um mehr: „Dieser Mensch ist ein lebendiges Zeichen. Nachdem er mehrere Jahrzehnte seine Geschichte verarbeiten musste, steht er insbesondere in dieser Region jungen Menschen zur Verfügung, um von den damaligen Umständen und von seiner Geschichte zu erzählen, wie es kein Zweiter kann“, so Markurth.
Sally Perel weise zudem darauf hin, welche Bedeutung die Vergangenheit für uns heute habe. Es gehe ihm um Toleranz und Respekt – und er zeige all das auf, was dazu führen könnte, ähnliche Zustände zu bekommen, wie seine Familie sie ab 1933 erleben musste.
Um zu überleben, leugnete er seine jüdische Herkunft
Sally Perel wurde 1925 in Peine geboren. Aufgrund der Nürnberger Rassengesetze verwies man ihn 1935 der Schule. Die Familie floh nach Polen. Nach dem deutschen Überfall auf Polen 1939 floh Sally Perel weiter in den Osten. Die Familie wurde getrennt. 1941 geriet er in Gefangenschaft. Um zu überleben, leugnete er seine jüdische Herkunft.
Als Jupp Perjell war er als Übersetzer für die Wehrmacht tätig und ging dann auf die Akademie für Jugendführung der Hitlerjugend in Braunschweig. Im hiesigen „Vorwerk“ von Volkswagen absolvierte er schließlich eine Ausbildung zum Werkzeugmacher. Ende der 1940er Jahre wanderte Sally Perel nach Israel aus. Die meisten seiner Familienmitglieder sind in Konzentrationslagern umgekommen.
„Er hat bis 1990 gebraucht, diese Zeit zu verarbeiten“
„Dass es ihm gelungen ist, eine andere Identität so glaubwürdig anzunehmen, dass er keinen Schaden genommen hat, macht sprachlos“, sagte Markurth. „Und er hat bis 1990 gebraucht, diese Zeit zu verarbeiten. Das zeigt, wie schwierig das ist, eine zweite Identität zu leben.“
Wer Sally Perels Buch „Ich war Hitlerjunge Salomon“ lese, der werde ganz viel Braunschweig darin finden, so Markurth. „Richtig bedeutsam ist er für uns geworden, als er wieder nach Braunschweig zurückgekehrt ist und seine Erzählung hat laut werden lassen.“
„Braunschweig hat Sally Perel als Botschafter für Frieden und Ausgleich erlebt“
In vielen Schulen habe er Jugendlichen immer wieder seine Geschichte dargelegt, habe sich deutlich gegen Antisemitismus und Rassismus positioniert. Sally Perels Bestreben, gerade jungen Menschen die Vergangenheit aus der Sicht des Zeitzeugen nahezubringen, werde besonders deutlich im „Sally-Perel-Preis für Respekt und Toleranz“.
Dieser Preis richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene aus Braunschweig und den Landkreisen Wolfenbüttel und Peine. Er wird vom Betriebsrat und dem Werksmanagement von Volkswagen in Braunschweig verliehen. „Dieser Preis lebt von Sally Perel und seiner Inspiration.“
Braunschweig habe Sally Perel als Botschafter für Frieden und Ausgleich erlebt, betonte Markurth. „Es wird in Zukunft nicht mehr viele Menschen geben, die diese Geschichte als Überlebende des Holocaust erzählen können.“
„Unser Grundgesetz ist der Gegenentwurf zu einem Staat, der Menschen systematisch vernichtet hat“
Er erinnerte daran, dass der 75. Jahrestag der Beendigung von Krieg und Faschismus in diesem Jahr aufgrund von Corona nicht besonders begangen werden konnte. Die Wunden in Braunschweig seien damals massiv gewesen. Die Stadt habe in Schutt und Asche gelegen. Es habe nur ganz wenige Überlebende jüdischen Glaubens gegeben, die jüdische Kultur sei fast komplett vernichtet worden.
„Auch das hat mich dazu gebracht, Sally Perel zu fragen, ob er ein Teil dieses Gedenkens sein möchte“, so Markurth. „Ich würde mich sehr freuen, wenn wir mit der Verleihung des Ehrenbürgerrechts ein deutliches Signal geben würden, uns der Geschichte immer wieder zu stellen und sehr sorgfältig mit unseren Werten umzugehen.“
Diese Werte seien einerseits brüchig, andererseits gebe es eine feste Basis, um die Deutschland von vielen Menschen auf diesem Planeten beneidet werde: „Unser Grundgesetz ist der Gegenentwurf zu einem Staat, der Menschen systematisch vernichtet hat. Es ist ein Gegenentwurf für die Würde des Menschen, und dafür steht Sally Perel.“
Quelle: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article229518532/Sally-Perel-ist-neuer-Ehrenbuerger-Braunschweigs.html
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